Ich habe lange überlegt, ob ich über Afghanistan schreiben soll. Und dann habe ich einen langen Text über Afghanistan geschrieben. Über dieses Land, diesen Konflikt und wie der Westen bei alledem fundamental versagt.
Politisch. Militärisch. Moralisch.
Es hat sich früh abgezeichnet, dass diese Mission scheitern könnte. Und dann, dass sie scheitert. Und dann, dass sie nicht mehr zu retten ist. Nun kommt der Einsatz nach 20 Jahren zu einem Ende – und alles daran ist unwürdig und menschenverachtend.
Der Text ist bei Krautreporter erschienen. Darüberhinaus noch einige Gedanken…
Ich bereue sehr, dass ich mich nicht mehr für die Sorgen und Nöte der afghanischen Menschen interessiert habe, dass die Nachrichtenlagen über den Konflikt an mir vorbeigeflogen sind, dass ich die Opferzahlen nach jedem neuen Anschlag der Taliban gar nicht mehr registrierte.
Ich frage mich zudem, wie meine Haltung zur Bundeswehr und zu den Einsätzen der Bundeswehr ist. Mir widerstrebt es zutiefst, Konflikte im Ausland unter Einsatz deutscher Soldaten zu lösen. Als Deutscher komme ich nicht an unserer Geschichte vorbei – und tue mich damit schwer.
Aber was ist die Alternative? Das Unrecht gewähren lassen? Die Diktatoren, die Despoten, die Schlächter wüten lassen?
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie Joschka Fischer im Jahr 1999 für seinen Einsatz als Außenminister im Jugoslawien-Krieg als „Kriegshetzer“ beschimpft wurde. Wenig später explodierte ein Farbbeutel neben seinem Ohr. Noch immer im beschmierten Jackett sagte Fischer voller Trotz und Leidenschaft: „Frieden setzt voraus, dass Menschen nicht ermordet werden, dass Menschen nicht vertrieben, dass Frauen nicht vergewaltigt werden. Das setzt Frieden voraus!“
Besser lässt sich die Gemengelage nicht zusammenfassen. Und wer diese Worte versteht, muss zu dem Schluss kommen, dass mit den Taliban kein Frieden vorstellbar ist. Er nie vorstellbar war. Dass mit mörderischen Terroristen nicht über Frieden zu diskutieren ist.
Wie soll dieser Frieden aussehen, wenn Menschen verstümmelt, wenn Menschen ermordet werden? Wenn aus der Mitte der Taliban-Herrschaft Al-Kaida ein Terror-Franchise ausbildet?
Was bedeutet das im Umkehrschluss für uns? Für Deutschland, Europa, den Westen?
Die Worte Peter Strucks, wonach „die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auch am Hindukusch verteidigt“ würde, sind in vielerlei Hinsicht furchtbar. Aber sie sind leider auch wahr. In Zeiten des globalisierten Terrors lassen sie sich nicht beiseite wischen.
Was bedeutet das in Bezug auf die militärische Verantwortung Deutschlands in der Welt? Was bedeutet das in Bezug auf die militärische Verantwortung Deutschlands für Deutschland?
Ich weiß es nicht. Und ich glaube, ich bin nicht der Einzige, der das nicht weiß.
Die vergangenen Tage haben mich erst ratlos gemacht, dann ohnmächtig und anschließend wütend. Ich erwarte vor dem Hintergrund dieser Geschehnisse eine bessere Politik. Mehr Verständnis, kluge Entscheidungen. Was wir aber gesehen haben ist unverzeihlich. Alle Entscheidungsträger in dieser Sache sind mit einer Melange aus purer Menschenverachtung und einer Form von Dilettantismus aufgefallen, die ich nicht für menschenmöglich hielt.
Ich frage mich: Ist das, wer wir sein wollen? Sind das die Werte, für die wir einstehen wollen? Sind das die Menschen, die uns repräsentieren sollen?
Überhaupt: Wie kann all das sein? Wie ist all das möglich?
Vor dem Hintergrund all dieser Fragen habe ich diesen Text geschrieben. Als Diskussionsgrundlage, Als Gedankenanstoß, als Impuls. Lest diesen Text und lasst uns gerne im Anschluss über alles diskutieren. Ich glaube, es gibt viel zu bereden.